Am Mittwoch, dem 18. August 1943, wurde General Dornberger gegen 1.10 Uhr durch das Dröhnen von Flak-Geschützen aus dem Schlaf gerissen. Nach einem kurzen Augenblick der Verwirrung sprang er aus dem Bett und begann sich anzuziehen. Da erschütterte eine Bombenexplosion das Gästehaus des Entwicklungswerkes, in dem er sich aufhielt. Nur notdürftig mit Uniformhose, Schlafanzugjacke, Mantel und Pantoffeln bekleidet, tastete er sich über am Boden liegende Glasscherben und aus ihren Angeln gerissene Türen ins Freie, wo er “wie gebannt” stehenblieb. Künstliche Nebelwolken zogen über das Gelände; der Vollmond, Suchscheinwerfer, explodierende Geschosse und herabsinkende britische Zielmarkierungen erhellten den Himmel, und sein Ohr wurde “durch das ununterbrochene Bellen und Krachen der Flak, den Knall der krepierenden Granaten, das Einschlagen der Bomben und das summende monotone Dröhnen der feindlichen viermotorigen Bomber gemartert”.
Der Luftangriff kam nicht völlig überraschend. In der letzten Zeit hatte es wiederholt Luftalarme gegeben, und es waren in dem Gebiet auch bereits einige Bomben gefallen. Bei dem fast komisch anmutenden ersten Luftangriff im Juli 1940 hatte ein verirrtes britisches Flugzeug eine Kuh getötet und einen Heuhaufen in Brand gesetzt. Diesmal aber war es klar, daß die Alliierten über die Existenz des Raketenzentrums Bescheid wußten und beabsichtigten, es zu zerstören.
Zunächst konzentrierte sich der Angriff auf die von drei- bis viertausend Menschen bewohnte “Siedlung”, die über eine eigene Schule, Gemeinschaftsgebäude und eine Feuerwache verfügte.
Bald darauf fielen auch auf die Siedlung einige hundert Tonnen Bomben, wodurch mindestens drei Viertel der Häuser und Wohnblocks zerstört wurden. Auch die Unterkünfte der in Strandnähe untergebrachten jungen Arbeitsdienstfrauen wurden teilweise schwer getroffen. Der größte Teil des Führungspersonals hatte sich in behelfsmäßigen Bunkern und Splitterschutzgräben in Sicherheit gebracht. Für das Raketenprogramm bestand der einzige nicht ersetzbare Verlust in Dr. Thiel, der in einem Graben liegend mit seiner ganzen Familie durch einen Volltreffer getötet wurde, während sein Wohnhaus relativ unbeschädigt blieb. Die Triebwerksentwicklung in Peenemünde wurde durch seinen Verlust empfindlich getroffen
Kurz nach 1.30 verlagerte sich der Angriffsschwerpunkt auf das Versuchsserienwerk und dann auf das Entwicklungswerk. Nach wie vor blieben jedoch die Abwürfe ungenau, was zur Folge hatte, daß auf die Siedlung und auf das Lager Trassenheide wesentlich mehr Bomben fielen als auf die Werksanlagen. Die weiter nördlich liegenden wichtigen Einrichtungen wurden dagegen von vernichtenden Schäden weitgehend verschont, die außerordentlich bedeutenden Windkanal-Anlagen und die Gebäude der Lenk- und Steuersystementwicklung blieben fast unbeschädigt. Immerhin wurden aber mindestens 25 Gebäude im Entwicklungswerk in Brand gesetzt oder beschädigt, darunter auch Haus 4, das Verwaltungsgebäude.
Nach dem Ende des Luftangriffs um 2.07 Uhr setzten von Braun und einer seiner Sekretäre ihr Leben aufs Spiel, als sie Geheimunterlagen aus dem brennenden Gebäude retteten. Auf die noch weiter nördlich gelegenen Prüfstände waren nur vereinzelte Bomben gefallen, was darauf hindeutete, daß die Engländer ihre Wichtigkeit nicht erkannt hatten; Peenemünde-West war von dem Luftangriff gänzlich verschont geblieben, da die Alliierten vom Flugbombenprogramm der Luftwaffe noch keine Kenntnis hatten.
Im ersten Schock nach dem Angriff schätzte Schubert die Zahl der Toten auf über l 000, Dornberger schrieb jedoch nach dem Krieg, insgesamt seien 732 oder 735 Menschen getötet worden, darunter etwa 500 bis 600 ausländische Arbeiter. Von den in Halle F1 untergebrachten KZ-Häftlingen wurden den Berichten Willi Steimels nach 18 getötet und 60 verletzt, die vereinzelten Bomben, die auf das riesige Gebäude fielen, richteten am Fertigungswerk jedoch keinen großen Schaden an. Sie explodierten hoch über dem Dach, und die dicke Betondecke zwischen dem Untergeschoß und der Haupthalle schützte die technischen Anlagen und die Häftlinge im Untergeschoß.
Der von der RAF als “Operation Hydra” bezeichnete Angriff war der Beginn des unter dem Decknamen “Crossbow” bekanntgewordenen alliierten Schlages gegen die deutschen Geheimwaffen.
Beim Angriff der Engländer war das Raketenzentrum auf die fast 600 RAF-Bomber, die l ,5 Mio. Kilogramm Sprengstoff mit sich führten, “kläglich unvorbereitet”. Mit Ausnahme der ausländischen Arbeiter war Peenemünde jedoch noch einmal glimpflich davongekommen. Hauptsächlich war das dem Umstand zu verdanken, daß ein nächtlicher Präzisionsangriff gegen eine Anzahl relativ kleiner Ziele mit großen technischen Schwierigkeiten verbunden war. Außerdem stellte es sich als glücklich für Peenemünde heraus, daß die Schäden am Tag nach dem Angriff so vernichtend zu sein schienen, daß die RAF Pläne für eigene oder US-Folgeangriffe fallen ließ.
Unvermeidlich hatte der Luftangriff hektische Aktivitäten in Berlin, der Wolfsschanze und anderswo zur Folge. Mit aller Deutlichkeit war den Verantwortlichen vor Augen geführt worden, daß das A4-Programm zunehmend durch Luftangriffe verletzlich geworden war. Am 21. Juni bzw. am 13. August hatten die Alliierten, ohne es zu wissen, in Friedrichshafen und Wiener Neustadt bereits die beiden anderen Fertigungswerke stark beschädigt, als sie benachbarte Industrieanlagen bombardierten. Es mußte etwas geschehen. Was schließlich getan wurde, führte zu grundlegenden Änderungen im Aufgabenbereich Peenemündes und in der Rollenverteilung der verschiedenen um die Vormacht bei der Kontrolle des Raketenprogramms kämpfenden Gruppen. Das Personal der Heeresanstalt sollte erheblich reduziert und zudem über ein wesentlich größeres Gebiet disloziert werden. Und, noch wichtiger, die A4-Fertigung sollte gänzlich aus Peenemünde abgezogen und unterirdisch verlagert werden - zugunsten der SS und auf Kosten des Lebens Tausender KZ-Häftlinge.
Ganz bewußt hatte man sich bei der RAF für den Versuch entschieden, die leitenden Ingenieure in ihren Betten zu erwischen. Durch einen Zielmarkierungsfehler warfen viele Flugzeuge ihre Bomben jedoch bis zu drei Kilometer von ihren Zielen entfernt ab. Ein Bombenregen ging auf das Barackenlager “Trassenheide” nieder, wo mehr als dreitausend überwiegend aus Osteuropa stammende ausländische Bauarbeiter in ihren Baracken oder hinter Stacheldrahtzäunen in der Falle saßen. Hunderte von ihnen wurden getötet.
Quelle: M.Neufeld
Das Brandenburger (Berliner) Tor nach dem ersten Bombenangriff
Die Wissenschaftlersiedlung - im Vordergrund zwei Särge zum Abtransport
Die grosse Vorbereitungshalle am Prüfstand 7
Halle F1 - trotz der Schäden wurde nach kurzer Zeit wieder Produziert
Prüfstand 7 - im Bild ein fahrbarer Raketenteststand
Haus 4 - Geheime Unterlagen werden in Sicherheit gebracht
Trauerfeier und Beisetzung der Opfer
Karlshagen - Blickrichtung von Bhf. Karlshagen Siedlung
DieRakete und das Reich
Sicherlich fanden noch weitere Bombenangriffe auf Peenemünde statt, doch gab es bei diesen folgenden Angriffen nicht so viele Tote zu beklagen. Aus diesem Grunde spricht man eigentlich nur von dem ersten Angriff 1943.
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